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inige Frauen beklagen, dass ihre Männer sich nach einem Streit in Schweigen hüllen. Doch manchmal sind es die Ehefrauen, die verstummen.

Dieses Problem hat auch Carsten. Er ist bereits seit 25 Jahren mit seiner Frau Bettina verheiratet. Obgleich die Ehe grundsätzlich harmonisch verläuft, haben beide einen großen Streitpunkt: Carstens Tochter Karin aus erster Ehe. Sie ist 30 Jahre alt und wohnt 150 km entfernt von dem Ehepaar. Sobald Karin bei Carsten und Bettina zur Sprache kommt, verschlechtert sich die Stimmung. Anfangs kam es zu lauten Streitigkeiten, wenn Carsten Karin Geld lieh oder mit ihr viel Zeit verbrachte. Mit den Jahren reagiert Bettina jedoch anders. Abfällig nimmt sie zur Kenntnis, wenn Carsten über Karin spricht. Dann schweigt sie – teilweise für Tage. Der Ehemann weiß nicht, was er tun soll. Wie kann er das Schweigen brechen? Er liebt doch beide und möchte sich für keine Seite entscheiden müssen.

Was ist also zu tun? Schauen wir uns Bettinas Verhalten aus ihrer Perspektive an.

Schweigen als Rückzug

Das Schweigen von Bettina empfindet Carsten als unfair. Es gibt ihm nicht die Chance, sich mit seiner Frau über das Problem auseinanderzusetzen. Für Bettina ist es ein Weg, sich zurückzuziehen und sich zu beruhigen. Das Problem „Stieftochter“ besteht schon seit vielen Jahren. Die Fronten haben sich verhärtet und keiner weiß, wie er richtig reagieren soll. Bettina ist müde, sich darüber zu streiten. Sie würde sich wünschen, das Thema würde verschwinden. Das tut es selbstverständlich nicht, denn ihr Mann liebt seine Tochter. Sie verbleibt damit in seinem Leben. Um nicht noch mehr Ablehnung gegenüber Karin zu zeigen, redet sie nicht mehr darüber. Sie frisst stattdessen den Frust in sich hinein. Gleichzeitig ist sie sauer auf ihren Mann, weswegen das Schweigen nicht nur ein Rückzug ist.

Schweigen als Strafe

Bettina fühlt sich von ihrem Mann missachtet. Er weiß doch, dass sie das Tochter-Vater-Verhältnis nicht schätzt. Dennoch ist Karin immer präsent im Leben. Sie weiß sehr genau, dass ihr sensibler Mann viel Wert auf eine gute Kommunikation legt. Deshalb ist für sie das Schweigen ein wirksames Mittel, Carsten zu bestrafen. Ihr ist dies vielleicht nicht zu 100 % bewusst, aber sie schätzt diese „Waffe“. Soll Carsten sich doch so schlecht fühlen, wie sie sich fühlt. Es kann ja sein, dass er irgendwann lernt, dass es besser für ihn wäre, weniger Kontakt mit seiner Tochter zu haben.

Schweigen als Machtdemonstration

Bettina kann nichts dagegen tun, dass Karin und ihr Mann Kontakt haben. Über die vielen Jahre hinweg hat sich daran nichts geändert. Sie hatte ihn einst gebeten, weniger mit seiner Tochter zu sprechen. Als das nicht half, hat sie ihren Unmut über die Beziehung zur Karin geäußert. Vorsichtig hat sie angedeutet, warum sie diesen Kontakt nicht wünscht. Nichts hat etwas gebracht. Bettina fühlt sich machtlos. Indem sie schweigt, wenn das Thema aufkommt, übt sie auf Carsten Macht aus. Sie erhält daher auf anderer Ebene das Gefühl zurück, was sie gerne bezüglich der Vater-Tochter-Beziehung haben würde. Bettina weiß zwar, dass sie mit der Macht des Schweigens ihren Mann unterdrückt, aber das ist ihr akut egal. Sie will ihn irgendwie beeinflussen und glauben können, dass sie nicht komplett machtlos ist.

Der eigentliche Grund fürs Schweigen

Die genannten drei Gründe für Bettinas Schweigen haben nichts mit dem Ursprungsgrund zu tun, warum es überhaupt zu dieser Reaktion kommt. Wieso ist ihr Karin so ein Dorn im Auge? Sie müsste doch verstehen, dass ein Vater Kontakt mit seiner Tochter haben möchte.

Sofern Karin nicht aktiv gegen ihre Stiefmutter hetzt, liegt der Ursprungsgrund vermutlich in einem gestörten Vertrauensverhältnis. Es ist wahrscheinlich, dass Bettina Karin und Carsten als eine Einheit sieht. Sie selbst und ihr Mann bilden eine andere Einheit. Vielleicht gab es in der Vergangenheit immer wieder Heimlichkeiten zwischen Tochter und Vater, die sie mit Bettina nicht teilten. Es können Gespräche über die Mutter von Karin gewesen sein oder Carsten hat mit seiner Tochter Eheprobleme besprochen.

Auf jeden Fall fühlt sich Bettina außen vor. Ihr Gefühl ist verständlich.

Für eine Paarbeziehung ist Vertrauen unerlässlich. Im besten Fall bildet sich eine Art Mauer des Vertrauens um das Paar, die kein Dritter einreißen kann. Der geschützte Raum des Paares gehört ganz ihnen. Betritt nun eine andere Person mit der Genehmigung eines der Partner diesen geschützten Bereich, fühlt sich der „betrogene“ Partner verletzt und verunsichert. Was soll das?

Haben Carsten und Karin Geheimnisse vor Bettina, bauen sie die Mauer. Es entsteht ein eigener Vertrauensbereich, zu dem Bettina keinen Zugang hat. Das hat sie über Jahre hinweg verletzt und das Verhältnis zwischen den Dreien zunehmend verschlechtert. Obgleich ihr Verhalten in der Ehe bis zu einem gewissen Grad verständlich ist, darf es nicht im Schweigen enden.

Was sollte Carsten tun?

Carsten befindet sich in einer Art Teufelskreis. Er fürchtet sich vor der Reaktion seiner Ehefrau, wenn das Thema Karin zur Sprache kommt, weshalb er lieber Dinge vor ihr verheimlicht. Doch dieses Verhalten ist destruktiv. Es verschlechtert das Verhältnis zwischen Carsten und Bettina zunehmend. Besser wäre es, wenn er klar und deutlich über seine Tochter sprechen würde.

Er sollte Bettina mit Worten und Taten signalisieren, dass Karin nicht zwischen ihnen steht.

Bisher hat er das Schweigen seiner Frau toleriert. Sie hat dadurch gelernt: Ich kann ihn mit meinem Schweigen verletzen. Das ist nicht fair, denn den Partner bewusst zu verletzten, ist für keine Paarbeziehung zuträglich.

Carsten sollte stetig das Gespräch mit seiner Frau suchen. Klappt dies nicht und sie reagiert wieder mit einem Schweigen, darf er das nicht durchgehen lassen. Freundlich und bestimmend sollte er sagen, dass er das Schweigen seiner Frau nicht akzeptiert. Er möchte sich nicht erpressen lassen. Dann ist ein nächster Schritt empfehlenswert: Carsten teilt seiner Frau mit, dass er für ein paar Tage in ein Hotel zieht. Er würde für seine Frau jedoch stets erreichbar bleiben.

Sobald sie ein Gespräch wünscht, unterhalten sie sich beide wie Erwachsene über das Thema.

Durch solch ein Vorgehen verliert Bettinas Machtspiel rasch seinen Reiz. Dennoch darf Carsten dabei nicht aus den Augen verlieren, dass auch er in der Bringschuld steht. Er muss akzeptieren, dass ebenfalls er erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten hat. Nur wenn beide zusammen an dem Problem arbeiten, können sie aus dem Teufelskreis des Schweigens herauskommen.


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Photo by Jason Yoder on Unsplash

Publiziert am 
Nov 20, 2020
 in Kategorie:
Beziehungen

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