erlustangst ist weit verbreitet. Bei einigen Menschen bezieht sie sich vor allem auf die eigenen Kinder, bei anderen hingegen auf den Ehepartner. Grundsätzlich ist die Sorge davor, eine geliebte Person zu verlieren, völlig normal. Doch ist sie übersteigert, kann sie Probleme bis hin zur Ehekrise und Scheidung verursachen.
Beinahe wäre dies Jennifer passiert.
„Fast kam es wegen meiner Verlustangst zur Trennung“
Jennifer ist seit gut zehn Jahren mit ihrem Mann Jan verheiratet. Zusammen haben sie zwei kleine Kinder. Ihr Leben verläuft in geregelten Bahnen und es gibt „eigentlich“ keinen Grund zur Sorge. Jennifer brachte in ihre Ehe jedoch eine überdurchschnittlich große Verlustangst mit. Anfangs hielt sich diese in Grenzen, aber mit der Geburt ihres zweiten Kindes verschlimmerte sich diese drastisch. Plötzlich kreisten Jennifers Gedanken bewusst und unbewusst immer häufiger darum, was passieren würde, wenn Jan sie verlassen würde.
Manchmal war die Angst so stark, dass sie wie gelähmt auf dem Sofa saß oder ihren Ehemann ständig bei seiner Arbeit anrief.
Was hatte sich geändert?
Jennifer sieht im Nachhinein mehrere Gründe für ihre übersteigerte Verlustangst. So hat ihr Mann angefangen, mehr zu arbeiten, um für die Familie mehr Geld zu verdienen. Häufig war er bereits weg, bevor die Kinder aufwachten, und kam erst nach Hause, wenn sie zu Bett gingen. Jennifer hatte das Gefühl, dass sie Zeit mit ihm verpasst, und sie machte sich Sorgen, dass die Arbeit ihn zu sehr stressen könnte.
Und dann gab es da noch Jennifers körperlichen Veränderungen, die die junge Frau sehr mitnahmen. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes schienen die Kilos an ihr regelrecht zu kleben.
Sie nahm einfach nicht mehr ab, was sich auf ihr Selbstbewusstsein auswirkte. Manchmal bekam sie Weinkrämpfe, wenn ein geliebtes Kleidungsstück nicht mehr passen wollte. Zu dem Unwohlsein mit dem neuen Gewicht kamen gesundheitlichen Probleme. Ihr Arzt fand für die Magen- und Rückenschmerzen keine Ursache. Er war der Ansicht, sie wäre psychosomatisch. Jennifer hingegen glaubte nicht daran. Sie war der Auffassung, dass sie sehr wahrscheinlich jung sterben würde und somit ihre Familie zurückzulassen würde. Mehr Futter für Ihre Angst.
Plötzlich befand sich die junge Mutter in einer Angstspirale, aus der sie nicht mehr hinausfand. Lange Zeit erkannte sie ihr Problem gar nicht. Stattdessen versuchte sie gegen die Angst anzukämpfen, indem sie alles – inklusive Jan – kontrollierte. Hinzu kam eine krankhafte Eifersucht, die es dem Ehemann schwermachte, sich in der Freizeit mit seinen Freunden auf ein Bier zu treffen.
Jans Liebe war ungebrochen groß für seine Frau, aber ihr Kontrollzwang, ihr Klammern und ihre negative Lebenseinstellung nahmen in solch einem Ausmaß zu, dass er irgendwann sagte: „Jennifer, bitte such dir Hilfe, irgendetwas stimmt nicht mit dir. Du bist nur noch unglücklich, überprüfst heimlich mein Smartphone, stresst unsere Kinder mit einem überzogenen Beschützerinstinkt und siehst überall Schwierigkeiten. Es muss etwas passieren, ansonsten gehen wir getrennte Wege. Ich kann nicht mehr. Wir stecken in einem ernsthaften Beziehungskonflikt.“
„Auf den anfänglichen Schrecken folgte die Einsicht“
Jennifer verstand die Worte von Jan anfangs nicht richtig. Sie fühlte sich von ihm angegriffen und war deshalb für das Gesagte nicht offen. Da sie ihre Familie allerdings nicht aufgeben wollte, beschloss sie, sich mit ihren Gedanken ihren Eltern und ihrer besten Freundin anzuvertrauen. Über die Reaktion aus ihrem engsten Umfeld war sie erstaunt: „Vielleicht hat er recht. Du bist in der Tat seit einigen Monaten extrem angespannt. Und so grundlos alles kontrollieren zu wollen, ist ungewöhnlich für dich. Kein Wunder, dass Jan irritiert ist.“
Zwar war Jennifer nach den Gesprächen noch immer nicht komplett davon überzeugt, dass sie das Problem war, aber sie schloss es nicht mehr aus. Sie entschied, sich mit der ehemaligen Kindergärtnerin ihres Nachwuchses zu treffen.
Für Jennifer war dies eine Vertrauensperson, die bereits ein hohes Maß an Verständnis und Empathie bewiesen hatte. Die beiden Frauen trafen sich mehrmals und Jennifer schüttete der Frau ihr Herz aus. Diese stellte der Mutter zahlreiche Fragen zu ihrem Leben und hinterfragte jedes ihrer Gefühle. Damit brachte sie Jennifer auf den richten Weg: erstmal die eigene Angst zu erkennen und nicht abzutun. Darauf folgte der nächste Schritt: die Ursachen der Angst auszumachen und an diesen zu arbeiten. Bei Jennifer gehörten zu den Ursachen frühere Verlusterfahrungen und ein abnehmendes Selbstwertgefühl. Jan selber hatte gar nicht direkt mit ihrer Verlustangst zu tun.
Symptome der Verlustangst und Tipps gegen Verlustangst in der Ehe
Der Erfahrungsbericht von Jennifer ist keine Seltenheit. Viele Menschen haben Angst, eine wichtige Beziehung zu verlieren. Erste Anzeichen für eine übersteigerte Verlustangst sind:
- starkes Misstrauen dem Ehepartner gegenüber
- übertriebene Eifersucht in der Partnerschaft
- emotionale Abhängigkeit vom Partner
- mangelndes Vertrauen in sich selbst und in den Partner
- fortwährend Bestätigung und Anerkennung beim Ehepartner suchen
Eine starke Verlustangst kann eine Ehe sehr belasten. Zugleich schränkt sie die Lebensqualität der Eheleute ein, weswegen es wichtig ist, etwas dagegen zu unternehmen. Hierzu ein paar Tipps:
- Selbstreflexion: Identifiziere die zugrunde liegenden Ursachen und Ängste, die zur Verlustangst führen. Frage dich, welche Erfahrungen oder Ereignisse in der Vergangenheit diese Ängste ausgelöst haben könnten.
- Unterstützung im sozialen Umfeld: Such dir Unterstützung von vertrauenswürdigen Freunden, Familienmitgliedern oder einer Selbsthilfegruppe. Der Austausch mit anderen kann hilfreich sein und dir das Gefühl von Sicherheit und Verbundenheit geben.
- Sich dem Verlust stellen: Erlaube dir, deine Ängste anzuerkennen und sich ihnen zu stellen. Vermeide sie nicht, sondern lerne, damit umzugehen und mögliche Verluste zu akzeptieren.
- Stärkung des Selbstwertgefühls: Arbeite an deinem Selbstwertgefühl und deinem Selbstvertrauen, indem du dich auf deine Stärken und Erfolge konzentrierst. Setze dir realistische Ziele und belohne dich für erreichte Meilensteine.
- Positive Denkmuster pflegen: Übe dich darin, negative Gedanken zu erkennen und sie durch positive und realistische Überzeugungen zu ersetzen. Entwickle eine optimistischere und resilientere Denkweise.
- Zeit für Selbstpflege: Nimm dir regelmäßig Zeit für Selbstpflege und Aktivitäten, die dir Freude bereiten. Sorge für ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Entspannung.
- Den Partner einbeziehen und miteinander reden: Mehr Kommunikation, nicht weniger ist vonnöten. Wer Verlustängste hegt, sollte mit seinem Partner darüber reden. Dies erhöht das gegenseitige Verstehen und stärkt die Bindung.
- Kleine Schritte machen: Setz dir kleine Ziele und nimm dir Zeit, um sie zu erreichen. Erfolge in kleinen Schritten können dazu beitragen, das Vertrauen in deine Fähigkeit, mit Verlust umzugehen, auszubilden.
Hab Geduld mit dir und anderen
Leidest du selbst unter Verlustangst? Hat dein Partner sie? Vergiss nie, dass Verlustangst ein sehr komplexes Thema ist. Sie lässt sich nicht einfach abschütteln, sondern es bedarf Arbeit an sich selbst, um sie auf ein gesundes Niveau zu bringen. Rückschläge kann es durchaus geben. Das sollte niemanden entmutigen, sondern aufzeigen, dass die Überwindung von Ängsten ein Prozess ist, der seine Zeit braucht.
Wer Geduld und Verständnis hat, wird jedoch letztlich belohnt und kann so eine durch Verlustangst ausgelöste Ehekrise meistern.
Dieser Artikel enthält Links zu den folgenden Beiträgen:
- Ehekrise Meistern: Gibt Es Anzeichen Für Das Beziehungsaus?
- Ehekrise Wegen Affäre: Ist Die Ehe Nach Dem Fremdgehen Zu Retten?
- Ehekrise Meistern: „Ich Liebe Dich“ Und Andere Liebesbekundungen
- Ehekrise: Lässt Sich Vertrauen Zurückerobern?
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